Miriamel Mandragoran

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»Sapere aude! - Wage es, deinen Verstand zu benutzen« --- Horaz, Epist. I,2,40 (Quelle)

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Äusserlichkeiten

Kess geschwungene Brauen, ein vorwitziger Schmollmund und das leicht gereckte Kinn lassen das Auftreten dieser Illuskanerin mit der hellen, fast blassen Haut zwischen Selbstsicherheit und Hochmut pendeln. Stiehlt sich jedoch ein Lächeln auf die augenfälligen, füchsisch spitz anmutenden Gesichtszüge, mag sie gar zu oft den Schalk in sich bergen. Lebhafte Körpersprache begleitet jedes Wort und jede Bewegung ihres für ihr Erbe nur mäßig großen Leibes; jung genug, um unschuldig zu wirken, ebenso aber alt genug, dass sie sich dieser Wirkung nur allzu bewusst scheint. Kleine Spangen im flachsblonden Haar, eine silbrige Metallplakette vor der Halsbeuge und allerhand Täschchen an ihrer Kleidung ergänzen ihre Erscheinung ebenso wie der sommersprossige Nasenrücken und die etwas schräg stehenden Augen in kühlem stahlgrau. Gleichwohl weniger passend erscheint jedoch die schlanke Klingenwaffe an ihrer Hüfte sowie die Stimme, deren Liebreiz von einem rauhen Timbre getragen wird.


Hintergrund (vorläufig)

Miriamel erblickte im Uktar im Jahr des Regenbogens auf der fernen Insel Ruathym, mehrere hundert Meilen vom Festland der nördlichen Schwertküste entfernt, das Licht der Welt. In einem der vielen zerklüfteten Fjorde dieser von harten Nordländern bewohnten Eilande war ihre Mutter eine in der Seefahrt wohl bewanderte Kriegerin der Insel mit Namen Isa Haltarstochter. Als Bootsführerin ihres Dorfes hatte sie ihr Langboot schon einige Male auf das Schwertermeer und noch viel weiter gelenkt, um dem Ruf nach Ruhm, vielmehr aber jedoch dem nach Handel oder Raub zu folgen. Eine dieser Reisen endete für Isa und ihre Gefährten in einem tückischen Ostwind, der sie weit vom Kurs abbrachte und sie südwestlich von Lantan, wo ihrer Meinung eigentlich nichts weiter sein dürfte als die endlosen Weiten der Spurlosen See, schlussendlich doch an die Ufer einer lieblichen Insel spülte. Diese Insel, Nimbral genannt, war ein Land regiert von einem Rat hoher Magier und die Künste in ihrer Gesamtheit dort hoch angesehen. Ritterlichen Tugenden folgend, doch mehr auf ihre Zurückgezogenheit und ihren Frieden bedacht behandelten sie die Fremden wohl, doch machten ihnen ebenso klar, dass sie in Bälde erwarteten, ihre Segel am Horizont verschwinden zu sehen. Doch nicht alle Bewohner Nimbrals dachten so, denn nicht allzulang nach der Rückkehr von dieser Reise gebahr die unverheiratete Isa ein Kind. Die Geburt wurde in der Gesellschaft der Nordmänner nicht als Schandmal gesehen, und doch musste ein neuer Bootsführer gewählt werden, was sich nicht als Isas Unglück erwies, nachdem die Flotte der Ruathym im Kampf gegen die Stadt Luskan versenkt und die Inseln erobert wurden. Die ersten Lebensmonate verbrachte der Säugling demnach in dicke Felle eingewickelt in einem Langhaus oder, denn gleichwohl musste die Mutter für ein Einkommen sorgen, auf den schwankenden Unterdecks eines der größeren, dickbäuchigen Handelsschiffe der Ruathym, die alle Häfen der nördlichen Schwertküste anfuhren. Auf einer dieser Handelsreisen in das großartige Tiefwasser erschlug Isa, weiterhin noch mit Kriegerblut, eine Gruppe Strassenräuber, die es auf die Ladung einer kleinen Karawane aus den Silbermarschen abgesehen hatten. Geführt wurde diese von einem gutsituierten Handelsmann alt nesserischer Abstammung, der über den Immermoorweg von Everlund gekommen war, wo er eines der vielen Handelskontore der Stadt seit langen Jahren in Familienbesitz hatte. Dieser Mann, Cazzan Ithraigon, war vor kurzem Witwer geworden, als sein Weib in der Nähe von Noanas Weiler im Immermoor von den dort marodierenden Hügelriesen erschlagen worden war und durchaus angetan von der Kriegerin. Doch zunächst beruhte dies auf wenig Gegenliebe und so blieb ihm zunächst nur, seine Waren gewinnbringend auf den Märkten zu veräussern. Doch Cazzan ließ nicht locker und alsbald gelang es ihm, Isas Herz langsam für sich zu erwärmen. Als der Tag der Abreise sich für beide, Isa auf dem Schiff, das sie begleitete und Cazzan mit seiner Karawane, nährte, musste Isa eine Entscheidung treffen. Und sie traf sie, sagte der Besatzung und ihrer Sippe mehr oder minder unumwunden Lebewohl um mit der kein ganzes Jahr alten Miriamel Isastochter dem Meer den Rücken zu kehren und auf einen langen, beschwerlichen Weg nach Everlund aufzubrechen. Zu erwähnen gab es jedoch, dass Cazzan in Everlund zwei Söhne, Isorn und Jarle, zurückließ, und somit bekamen jene ebenso eine Ziehmutter wie Isas Tochter einen Vater, der sie ordnungsgemäß mit göttlicher Bezeugung adoptierte und somit aus Miriamel Isastochter Miriamel Ithraigon wurde. Die ersten Lebensjahre entwickelten sich für das Kind sehr viel angenehmer als die ersten paar Lebensmonate und aus dem Säugling wurde ein gesundes, lebhaftes Mädchen. Die Brüder selbst waren noch zu jung, um in ihrer neuen Mutter und ihrer neuen Schwester etwas anderes als eben genau dies zu sehen, und die Geburt eines weiteren Sohnes, Gawyn, vollendete die Familie in den ersten Jahren.

Die Zeiten nahmen erst wieder eine düsterere Färbung an, als die Orks im Norden zu erstarken begannen und alles auf einen erneuten Zug der Horde hindeutete. Als immer mehr Karawanen verschollen gingen und die Silberlegion sich auf die Bewachung der wichtigsten Handelswege in die Marken und den Lauf des Flusses Rauvin zwischen den großen Städten konzentrierte, merkten das neben den Bewohnern der kleineren und größeren abgelegenen Siedlungen vor Allem diejenigen Händler, die zu ihnen aufbrachen. Auch das Kontor des Cazzan Ithraigon musste umstellen, Waren entweder auf dem nun oft befahrenen Rauvin durch das enge Rauvintal zu schiffen oder aber weitere Handelsrouten zu benutzen um den Handel ausserhalb der Marken zu intensivieren. Die Karawanen wurden größer, die Reisen gefährlicher und die Zeiten, in denen Cazzan fort war, länger. Die Zeit der Klagen, wenn die Götterwanderung den Norden auch nur streifte, sorgte für weitere Unsicherheit in den Landen und die Familie, wohlhabend wie sie dennoch war, verließ das spannungsgeladene Everlund in Richtung Lhuvenkopf, einer Siedlung nicht weit entfernt im Rauvintal. Dort besaß sie ein kleines Haus und dort war es auch, wo die kleine Miriamel ihr Zuhause am ehesten sah. Und sie war kein einfaches Kind. Störrisch und dickköpfig, aber auch so sehr in Gedanken versunken, dass man sie kaum zurückzuholen vermochte, versuchte sie sich zwischen den zwei stärkeren Brüdern zu behaupten und schoß dabei nicht selten über das Ziel heraus. Wenig verwundern mag es indes, dass ihr Verhältnis zum jungen Gawyn ein sehr viel engeres war, und wenn Miriamel in ihrem Leben einmal wirklich und wahrhaftig Verantwortung übernahm und ihr auch gerecht wurde, so war dies vor ihrem zehnten Lebensjahr ihm gegenüber.

Während Miriamel also in den Tag hinein lebte und eigentlich immer davon ausgegangen war, dass sie mit ihren Brüdern das Kontor übernehmen würde, hatte ihr Ziehvater, den sie stets als 'ihren' Vater betrachtete, auch wenn sie um die Wahrheit wusste, ihr aber nicht ganz traute, früh andere Pläne für sie. Der Kontakt mit einer undurchsichtigen Frau namens Xara, die manche als reine Händlerin achteten und andere als hexende Grabräuberin mieden, offenbarte ihm den besonderen Geist seiner Ziehtochter, der, laut Xara, an schlichterer Arbeit vergeudet wäre. Und, so erzählte sie ihm, zudem sei ein solches Talent in der Familie nie schadhaft, im Gegenteil. Cazzan vertraute Xara und mit zwölf Jahren schickte er Miriamel zu ihr in die Lehre. Ihre Mutter darüber begeistert zu nennen wäre Lüge, doch hatte sie stets befürchtet, dass sie mehr als nur die Gesichtszüge ihres Vaters an sich trug.

Drei Jahre vergingen für Miriamel in dem kleinen Anwesen Xaras am Rande des Silberwalds mit verschiedensten interessanten wie ermüdenden Arbeiten. Sie ging ihrer ebenfalls noch nicht alten Herrin bei deren verschiedensten Recherchen in alten Folianten oder schmierigen Kneipen zur Hand, übersetzte Schriftstücke aus der Sprache der Drachen, die sie zu lernen begann, ging auf die Suche nach Ingredienzen für magische Tränke und half bei deren Verkauf. Und dann war dort natürlich noch die Magie. Miriamel war sofort hin- und hergerissen zwischen Verzückung und Scheu, als sie im Beisein Xaras ihre ersten, einfachen magischen Übungen durchführte. Erst mit steigender Erfahrung wurde diese Scheu von Eifer, fast Übereifer, verdrängt, mit dem sie begierig alles lernte und anwandte, das ihr freiwillig oder auf Bitten und Betteln hin beigebracht wurde. Doch wie aus ihr selbst wollte Xara aus ihrem Zögling mehr machen als einen vergeistigten Bücherwurm und so lehrte sie auch praktischere Dinge, die auf ihren Reisen nützlich waren. Und mit einem Kurzschwert in der Hand war offensichtlich, wie das Ruathymblut in ihr hochwallte. Mit fünfzehn traten sie eine Reise in die Nesserberge an, zum Ort eines alten, versunkenen Tempels, dem versunkenen Sonnengott Amaunator geweiht. Xara war tatsächlich nicht scheu darin, solche Schätze zu suchen und an sich zu nehmen. Doch als sie in den Bergen lagerten, verlor sie ihre übliche Vorsicht und vergaß, die sorgsam verbergenden Illusionen zu wirken. In dieser Nacht wurden sie von einer Bande marodierender Tanarrukk-Orks überrascht und angegriffen, die in diesen Tagen mit den Orkstämmen des Gebirges in tödlicher Fehde lagen. Ohne Chancen gegen diese starken Kreaturen flüchteten sie sich in die unterirdischen Tunnel des Tempels. Und nicht einmal Miriamel selbst weiß, was genau in den stillen, lichtlosen Hallen geschah. Ob es Zufall oder Absicht war, die knurrenden Orks hart auf den Fersen, ob sie getrennt wurden oder Xara sie zurückließ. In jedem Fall fand sie sich in einem Schrein alleine zwei der Orks gegenüber. Mit einem einfachen Lichtzauber blendete sie panisch die lichtscheuen Geschöpfe und nutzte die Zeit, sich in einer großen Spalte in der Tempelmauer zu verbergen. Dort zusammengekauert konnten die Orks sie nicht erreichen, sie ihrerseits aber auch nicht heraus. Nach Momenten größter Panik und Hilflosigkeit fand sie ihre Rettung: eine Reihe loser Steine in der Tempeldecke, an denen das Erdreich in den vergessenen Raum einzudringen begann. Konzentriert wie nie zuvor sprache sie die magischen Worte, streckte vorsichtig die Hand zur Decke aus und riss sie aus ihrem empfindlichen Zustand. Die Steinlawine ging hernieder und begrub einen der Grauhäute halb, den anderen völlig unter sich. Mühsam ächzte das Mädchen sich aus der Felsspalte und rannte so schnell sie konnte auf und davon. Und auch diesmal schien das Glück ihr hold, denn sie fand einen Weg hinaus aus dem Tempel und, was noch glücklicher ist, auch in den Folgetagen mühsam den Weg aus den Netherbergen hinaus. Xara jedoch blieb verschwunden und Miriamel weiß bis heute nicht, was sie von ihrer ersten Lehrmeisterin halten solle, ob sie sie im Stich ließ oder ihr nur helfen wollte. In jedem Fall erfüllte dieses Ereignis ihren Geist neben Schrecken auch mit einem schwer bestimmbaren Triumphgefühl. Das Vertrauen, vielleicht übermäßige Vertrauen, in ihre eigenen Kräfte und die der Magie, von denen sie glaubte, sie ach so gut zu beherrschen. Sie schlug sich nach Everlund durch, geschützt durch Schwert und Magie und nicht zuletzt durch ihr resolutes Auftreten erreichte sie das Elternhaus.

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