Mitten im Gewühl, irgendwo im gefrorenen Schlamm vor dem Rednerpult, in der Nähe eines kleinen Häufchens Milizionäre, spielte auch ein Herr mit Dreispitz Bürger. Er hörte nur mit halbem Ohr hin, fand den größeren Genuss in seiner Pfeife und in dem tollen Bild, dass er mit seinem Rapier abzugeben glaubte. Sowieso war ihm das ganze Spektakel höchst unverständlich. Als zugereister Saerloonese war es ihm von Grunde auf schleierhaft, was dabei herauskommen sollte, wenn man das Volk wählen ließ. Wo doch jeder wusste, dass das Volk strohdumm war! Und ein vom Pöbel gewählter Stadtrat, der hatte doch keinen Glanz, keine Würde, keine Grandezza, kein Durchsetzungsvermögen. Wer konnte denn auf so etwas stolz sein, von ein paar stinkenden Fischern, Huren, Schauerleuten, Seilern und Matrosen "auserkoren" worden zu sein. Noch schlimmer, musste man sich doch diesem Pöbel unterwerfen, um gewählt zu werden. Konnte man zu so jemandem aufblicken?
Mit diesen klugen Gedanken dünkte sich der junge Herr die weiseste Person auf Erden und beobachtete die seiner Überzeugung nach arme und ehrlose Kreatur auf dem Rednerpult. Im Triumphe seiner überlegenen Vernunftbegabung legte er stolz eine Hand auf den Rapierknauf. Hoffentlich sah ihm jemand dabei zu. Aber die Idee, dass die so genannten „Kandidaten“ vor den Waschweibern, Tandlern und Taugenichtsen einen Kniefall machen mussten, wollte ihm schon gefallen. Umso mehr, als es sich um eine Gardistin handelte, die so entblößt vor unzähligen Augen stand. Nur dass sie ihr Gesicht verbarg, das war gegen die Spielregeln. Sie musste sich ganz aufgeben und dem Volk ganz zeigen! Das wollte man doch! Jeder Kandidat musste von seinem hohen Pferd (und war es auch nur so hoch wie das Rednerpult) hinunter in den Dreck der Hafengosse gezogen werden!
Allzu viel konnte er nicht verstehen. Einerseits durch das laute Gemurmel, andererseits, weil die verschleierte Gardistin in Rätseln sprach. Verständnislose Blicke über eine „stagnierende“ Wirtschaft, über „Exekutiven“. Den einen wollte sie „neue Arbeit“ aufhalsen, gerade so, als sei das etwas Schönes, den anderen, die zu faul waren, Essen schenken? Und schwanger hatte man sich auch noch nicht gefühlt. Sollte man sittenlose, unzüchtige Leute jetzt auch noch schützen wollen?
Lothlann kratzte sich etwas betreten an der Wange und warf einen Blick zu seinen Nachbarn. War das alles, was die Dame, von der man nicht einmal wusste, woher sie gekommen war, zu bieten hatte? Kein Beweis ihrer Großzügigkeit, kein Spektakel, keine Freude für das Volk? Nur diese seltsamen Worte?
Was hatten da wohl die anderen Kandidaten zu bieten?
_________________ Charaktere: Flammo (inaktiv) - galanter, geschleckter Lackaffe, Cavalier und Stadtratskandidat Lothlann (inaktiv) - anerkennungssüchtiger, sembischer Wirt und barocker Antiheld Hier geht's zur Feuerlagune!
|