Ein schattenloser Sommernachmittag am Riviner Fischmarkt. Übler Geruch liegt in der Luft, zieht sich die Gassen entlang, dringt in die Lagerhallen ein. Die Hitze tut ihr übriges. Wohlhabende Passanten pressen sich ihre parfümierten Handschuhe an die Nase, oder Orangenschalen. Aber es wird hier nicht nur Fisch feilgeboten. Kleine Götterstatuen und Schmuck aus Bronze, Kessel, Lederzeug, hölzernes Kinderspielzeug, Scheren, Messer, ja sogar Bücher, exotische Stoffe, Gewürze und Räucherwerk liegen aus. Je weiter man den auswuchernden Buden in die engen Seitengassen folgt, desto merkwürdiger wird das Angebot, desto verdächtiger die Verkäufer. Und wenn sich im Gassengewirr zwischen Seefestung und Feuerlagune erst die Dunkelheit einschleicht, dann werden sich wie jeden Abend die Vergnügungssüchtigen, die Beutelschneider und die schönen Damen ihr Stelldichein geben.
Warum der Handel gerade hier aufblüht, und nicht im Marktviertel? Nun, kaum ein Händler will oder kann die Packeselkolonnen bezahlen, die hufklappernd die Ware hinauf zum Hauptmarkt transportieren, über die steilen Passagen und Durchgänge. Kaum einer will in Baron Daelwins Beutel zahlen, Stadtrat des reichen Marktviertels und zugleich großzügiger Sponsor der Mantelmagier. Viel besser und leichter verkauft es sich nahe der Lagerhallen und Schiffe. Lieber zahlt man in Stadträtin Nortons Beutel. Und für ein paar Münzen fragt auch keiner mehr nach, womit Handel getrieben wird. Händler, Miliz und die Stadträtin bilden eine glückliche Familie. Sie alle profitieren.
Und so erklingt auch an diesem Nachmittag an allen Ecken und Enden in den Häuserblocks um den Fischmarkt herum gebrochenes Chondathanisch, manche nennen das Radebrechen auch "Handelssprache". Waren werden in vielen Sprachen angepriesen. Jeder will lauter sein als der unliebsame Nachbar. Man transportiert, man feilscht, kauft, verkauft, spekuliert. Ein falscher Blick, und schon wittern die Händler ihre Chance. Manchmal holpert ein Leiterwagen vorbei, manchmal ein einzelner Reiter – nur wenige Gassen sind dafür breit genug. Der flirrende Dreck wird aufgewirbelt, eingeatmet, ausgespuckt, die Augen zugekniffen. Die Reichen werden in kabinenartigen Mietsänften die Gassen entlang geschaukelt, abgeschirmt von Dreck, Blicken und Armut. Aus ihren vergitterten Fenstern beobachten sie und geben ihre Anweisungen. Alle haben es eilig, Zeit ist Geld. Die Schwertküste steht hier genauso wenig still wie in Baldurs Tor oder Tiefwasser.
Nur in einer bestimmten, kleinen Seitengasse verlangsamen sich die Schritte. Die Leute bleiben stehen, vergessen ihre Geschäfte für einen Moment, verschwinden in den schattigen Innenhof eines halb verfallenen Holzgebäudes. Dutzende Schaulustige haben dort bereits einen Kreis gebildet. Die beiden sind wohl ein Pärchen. Er, höchstens 19 oder 20, Struppelhaare, ernster Blick, sitzt auf einem Schemel und spielt auf seiner Laute eine schwermütige, eindringliche Melodie in Endlosschleife. Sie, eine Schönheit, kaum älter als er, lange schwarze Haare, die ihr ins Gesicht fallen, kauert am schmutzigen Straßenpflaster. Wer hätte dieser betörenden Erscheinung nicht bereitwillig und voll heimlicher Hoffnungen aufgeholfen? Doch ihre Füße sind verkrümmt und kraftlos umeinander geschlungen. Unter ihrem rechten Ellbogen dient ein Holzkübel als Stütze.
Wenn jemand eine Münze in den Beutel wirft, haucht sie „Danke“, mit einer glasklaren und doch rauchigen, mit einer selbstbewussten und doch fragilen Stimme: „Danke“. Das ist ihr Text. Die Zuseher: Manche beklemmt, manche schüchtern, andere mit aufgerissenen Augen. Sie warten auf das nächste “Danke“. Auf diese Art, verführerisch-provokant und doch schamvoll-distanziert, hat sich noch kein Mensch bei ihnen bedankt! Immer wieder löst sich jemand aus der Menge, steckt eine, zwei, drei Münzen in den Beutel, darauf folgt das „Danke“, das die Umstehenden zum Lächeln bringt. Sie wollen es wieder hören, sie sind süchtig nach ihrer Stimme.
Der Dank kommt im richtigen Moment, passt zur Musik, ein sanftes „Danke“ zwischen den dahin polternden Karren und dem Geruch von Eselmist. Der monotone Text zur endlosen Melodie, die Tausende Menschen anzutreiben scheint, die hier im Herzen Rivins ein monumentales Gewirr verursachen: “Danke“, eine Stimme voll von grenzenloser Sehnsucht. Die junge Frau schiebt ihre schwarzen Haare aus der Stirn. In der Pause räuspert sie sich, spuckt auf den Boden, presst etwas verzagt zwei Finger an den Kehlkopf. Der Lautenspieler sieht sie sorgenvoll an. Hoffentlich singt sie weiter.
Plötzlich lösen sich aus der Menschentraube zwei abgerissene Gestalten: eine bestiefelte Halblingsdame und ein junger Mann, der gerade seinen Hut abnimmt. Er steckt einige Münzen in den Beutel und tritt vorsichtig näher. Alles starrt gespannt. Er beugt sich zu der Schönheit hinunter, und raunt ihr etwas in ihr Ohr. Sie lächelt. Es liegt etwas Ahnungsvolles in ihrem Lächeln, ein fürsorglicher Spott, wie eine Mutter zu ihrem Kind. Dann legt sie ihm für einen flüchtigen Augenblick ihre Hand auf das demütig gesenkte Haupt. Sanft fahren ihre Fingerspitzen durch die Locken. Will sie ihn belohnen, oder vertrösten? Dann ist die Halblingsdame an der Reihe. Sie hat es sich genau bei ihrem Begleiter abgeschaut. Umso selbstbewusster stiefelt sie heran, mit einem lustigen, glasigen Blick. Und auch ihr legt die katzenhafte Schönheit die Hand auf. Das zusammengeflickte Kopftuch hält die unzähligen verfilzten Zöpfchen und feuerroten Strähnen der Halblingsdame zusammen und ringt der schönen Sängerin ein hinreißendes Lächeln ab. Alle Zuseher lächeln mit ihr. Sie lächeln nur, weil sie lächelt - und sie weiß es. Ein verführerischer Zauber umgibt in diesem Moment den herabgekommenen Hinterhof. Der Fischgeruch? Verflogen. Eine schwere Süße geht von ihr aus. Das Publikum verzehrt sich nach dem Duft.
Keinen perfekten Augenblick lang, und schon hat sich der Zauber wieder verflüchtigt. Der göttliche Duft ist weiter gezogen, hat die Sehnsüchtigen mit dem Fischgestank zurück gelassen. Die üblen Ausdünstungen dringen intensiver, beißender als zuvor in ihre Nasen. Umso wichtiger, dass ihnen wenigstens der Anblick der Sängerin geblieben ist.
Halbling und Mensch kehren indes vom Hinterhof auf die geschäftigen Gassen zurück. Wie ein lange eingespieltes Duo bummeln sie ihren Weg entlang. Er trägt ein kleines, unscheinbares Fläschchen in der Hand - der Lautenspieler hat es ihm gegeben. Zurück bei der Feuerlagune steigen sie die morschen Treppe vom Lumpenweg hinauf zum Dachgeschoß der Taverne. Die Halblingsfrau wird hochgehoben. Mit ihren schmutzigen Fingern verschmiert sie den anreizenden Duft am Türstock. Wer auch immer von nun an eintreten würde, der sollte sich einen wundervollen Atemzug lang in den Armen der Sängerin wähnen…
OOC-AnmerkungenGroße Schützenhilfe für den Text kam von einem Zeitungstext von Martin Amanshauser. Ich fand den Text einfach zu passend, und habe im Mittelteil einiges übernommen. So ist eine Straßensängerin beim Glockenturm in Xi’an zu einer Sharess-Priesterin avanciert.
Ein passendes Lied zur Geschichte (zumindest ab dem Intro), voller Sehnsucht
Lothlann und Finn sind übrigens weiteren (preisgünstigen) Segnungen im Namen passender Gottheiten (Waukeen, Shaundakul) nicht abgeneigt. Wer also einen entsprechenden Priester parat hat: nur zu! Wir können das ig ausspielen und/oder in Form eines Beitrags im Forum machen.
Momentan warten wir noch darauf, dass das Obergeschoß per Worldgate hochgeladen wird.
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Charaktere:
Flammo (inaktiv) - galanter, geschleckter Lackaffe, Cavalier und Stadtratskandidat
Lothlann (inaktiv) - anerkennungssüchtiger, sembischer Wirt und barocker Antiheld
Hier geht's zur Feuerlagune!