Elena lief zügig den Weg zum Haus ihrer Zieheltern hinauf. Sie wusste, beide würden Zuhause sein. Liana, wie sie ihre neue Mutter zu nennen pflegte um keine Komplikationen durch ihrer beider Namen zu verursachen, würde sicher bereits das Abendessen abräumen und zu spülen beginnen, während Karson auf seinem bequemen Sessel einzudösen drohte. Und genau so war es, als Elena keuchend die Haustüre aufschlug und eintrat. Erschöpft stützte sie ihre Hände auf ihren Knien ab, zerknitterte damit den Brief in ihrer Hand und holte tief Luft um ihre Stimme wieder zu finden.
Liana war aus der Küche getreten und blickte überrascht in Elenas' Gesicht, während Karson hochgeschreckt war und bei Elenas Anblick in seiner Habachtstellung verlieb. "Elena, was ist passiert?" Sprach Liana sogleich, während Elena mit dem Brief zu wedeln begann und noch immer mit der vor wenigen Momenten vollbrachten Anstrengung kämpfte. "Ihr... werdet.. nicht glauben... was passiert.. ist!" Das breite Lächeln Elenas' ließ die Anspannung aus Karson weichen und brummend ließ er sich wieder in seinen Sessel fallen. Liana bedachte Elena mit einem vorwurfsvollen Blick. "Sag' bloss du läufst hier rauf als wäre eine Orkarmee vor der Türe, nur weil Gillian dich zum Fest eingeladen hat?"
Elena spürte wie das Blut in ihre Wangen schoss, schüttelte aber hartnäckig ihren Kopf. "Nein!" Erneut wedelte sie mit dem Brief und schloss die Türe hinter sich. Sie hatte endlich wieder zu mehr Kraft gefunden und trat weiter ins Wohnzimmer. "Jerem hat mir geschrieben!" Unbeeindruckt rollte Karson mit seinen Augen, während Liana interessierter zu Elena sah. "Also - ich hab' den Brief heute erst bekommen. Und das obwohl sein monatlicher Brief noch garnicht aussteht." Doch dies allein schien ihre Zuhörer noch nicht so recht zu beeindrucken, obwohl Elena allein dies bereits als Triumph ansah. "Aber das ist nicht einmal das Ungewöhnlichste. Es ist das was in dem Brief steht."
Karson betrachtete Elena aufmerksamer, doch noch immer schien er sich nicht von ihrer Begeisterung anstecken zu lassen. Er war ein genügsamer, großer Mann, von beeindruckender Statur, der bereits auf die sechzig Winter zuging. Er hatte vieles gesehen, erlebt und überließ es seiner Ehefrau, sich um die noch immer aufgeregte Elena zu kümmern. Liana war auch bereits ganz ins Zimmer getreten, sie hielt noch immer ein Handtuch in ihren Händen und blickte abwartend gen Elena. "Nun erzähl schon!"
Endlich fühlte sich Elena mit genügend Interesse konfrontiert. "Er möchte, dass ich ihn besuche!" Dies ließ Karson aufmerken und auch Liana zeigte gemischte Gefühle ob dieser Verkündung. "Bist du dir sicher, El? Du hast mindestens drei oder vier Briefe in denen er dir schrieb, dass du auf garkeinen Fall nach Rivin kommen sollst." Elena seufzte und setzte sich auf einen Stuhl. "Bei den Göttern, jetzt wartet erstmal ab. Das Beste kommt ja noch.." Sie sah abwechselnd in die Gesichter ihrer Zuhörer. "Ich soll ihn besuchen - und jetzt kommt's - um jemanden kennen zu lernen!" Liana wirkte überrascht und selbst Karson zeigte Verblüffung. "Wen sollst du kennen lernen?" Fragte Liana rasch. "Sie heißt Aleney. Er schreibt, sie wollen sich ein Haus kaufen und 'vielleicht' sehe ich es dann auch." Karson blickte zunächst verständnislos gen Elena, während Liana nachdenklicher wurde. "Aleney? Hatte er sie nicht in einem Brief schon einmal erwähnt? Da war doch mal ein Neuzugang vom Orden?" Elena nickte. "Ja.. damals schrieb er Alaenei, aber ich denke es ist die selbe."
Polterndes Lachen erfüllte den Raum. Elena und Liana blickten zu Karson. "Das ist doch nicht zu fassen, Herr Ich-Will-keine-Freundin und Beziehungen sind was für Idioten, hat.." Ein Lachen folgte dem nächsten und die zwei Frauen konnten nicht umhin, sich diesem anzuschließen. Es benötigte eine Weile, bis sich die Gemüter beruhigt hatten und Liana weiter nachhakte. "Schreibt er auch etwas mehr? Ich meine über diese Frau." Elena blickte auf den Brief. "Aleney Falkenwinter, sie stammt aus Tiefwasser."
Aus dem Lachen von Karson wurde ein Husten, bis er geradezu schockiert gen Elena sah. "Aleney Falkenwinter? Bist du dir sicher?" Mit einem blinzelnden Nicken bejahte Elena seine Frage. "Unmöglich! Das.. das kann nicht sein. Falkenwinter ist.. wichtige Familie Tiefwassers, das sind aufrechte, reiche Leute des Adels, Elena. Das.. nein, ich glaube nicht.." Dieses Mal stieß Liana einen triumphierenden Laut aus. "Hah! Hab' ich's euch nicht gesagt? Er macht was aus sich!" Beunruhigt blickte Elena zu Karson. "Meinst du das ernst..? Das ist eine.. echte Adelige? Und die soll ich kennen lernen?" Liana schlug liebevoll ihr Handtuch gegen Elenas' Schulter. "Hey, jetzt sei mal nicht so vorurteilsvoll. Wir besorgen dir ein hübsches Kleid und dann zeigst du deine beste Seite. Wenn es wirklich 'diese' Falkenwinter ist und sie ausgerechnet mit Jerem zusammen ist, dann wird sie ohnehin einiges gewöhnt sein." "Was soll das denn heißen?!" Bellte Elena zurück. "Genau das." Gab Liana mit einem gemeinen Lächeln zurück. Dieses hielt jedoch nicht lange an und sie stand wieder auf. Während Karson vor sich her murmelte, bewegte sich Liana leichtfüßig in die Küche und überließ Elena, mit ihrer anwachsenden Nervosität sich selbst.
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