"Mama... es tut so weh.. mach' das es aufhört." Die vom Schmerz zerrüttete Stimme ihres Sohnes durchschnitt Elonas Gedanken, wie ein scharfes Messer ein Stück Butter. Zyara war bereits an ihre Seite getreten und hatte Elona von dem sich verschlechternden Zustand ihres Sohnes berichtet.
Zyara und Alexis, waren nie besonders gute Freunde gewesen. Aber sie konnte nicht sagen, dass sein Zustand ihr gefiel. Er war im Grunde auch ihr Sohn, schließlich war er das Kind ihrer Vertrauten Elona.
Die schwarze, anmutige Katze kannte Elona schon viele Jahre. Sie waren Seite an Seite gefallen und wieder aufgestanden. Hatten sich dem Niedergang entgegen gestellt, waren aus den dunkelsten Löchern der Verzweiflung gekrochen und hatten zu neuer Kraft wieder gefunden. Doch dieses Mal war es anders gewesen. Trotz aller Veränderungen, war sich Zyara sicher, dass Elona sich von dem kommenden Verlust durch Alexis nicht wieder erholen könnte. So stark sie auch schien, in ihrem Inneren klammerte sie sich wie eine ertrinkende an den einzigen Rettungsreif, der ihr noch blieb: Ihren Sohn.
Natürlich - dessen war sich Zyara absolut bewusst - war sie die eigentliche Stütze ihrer Vertrauten. Wie häufig hatte sie ihre Leiden geteilt? Wie oft ihr neuen Mut gebracht? Aber das war letztlich ihre Pflicht. Als sie das Band mit Elona eingegangen war, hatte sie eine Verantwortung übernommen. Und diese Verantwortung beinhaltete, sich um Elona zu kümmern und ihr stets den rechten Pfad zu zeigen. Das hatte leider nicht immer geklappt und Elona hatte viel zu viele falsche Entscheidungen getroffen. Besonders mit ihren Männern. Zyara hatte diese Problematik nie wirklich nachvollziehen können, aber Menschen waren leider etwas schwierig in dieser Hinsicht.
Zyara musste an Hasmael denken. Diesen hatte sie sehr gemocht und manchmal hatte sie ihm dies auch gezeigt. Sie erinnerte sich daran, wie sie eine weiße Ratte als Belohnung für ihn vor seinen Schlafplatz gelegt hatte. Dies war nicht ihre Art gewesen, für gewöhnlich tat sie solche niederen Dinge nicht - das war etwas für zurückgebliebene Hauskatzen - aber in seinem Falle wollte sie ihm eine Freude machen. Und Hasmael hatte dies verstanden, als er sie gesehen hatte, war er zu ihr gekommen und hatte seinen Dank ausgesprochen.
Als Hasmael starb, war Zyara sehr betroffen. Natürlich war es für Elona auch sehr schlimm gewesen. Aber Elona war immer etwas zu emotional, nicht so Zyara. Doch als sie von Hasmaels' Tod erfuhr und die Trümmer seiner Alchemistenstube gesehen hatte, war sie sehr erschrocken. Sie hatte in den Ruinen nach ihm gesucht und insgeheim gehofft, ihn nicht zu finden. Er war ein kluger Mensch gewesen, wie konnte ihm soetwas passieren? Es war ausgeschlossen. Auch Elona wusste das und beide kamen überein, dass dies Mord gewesen war. Doch leider konnten sie den Mörder nie finden und Zyara wünschte sich noch heute insgeheim, dass er furchtbare Höllenqualen leiden möge, dafür dass er diesen Menschen - Hasmael - einfach getötet hatte.
Nach Hasmael hatte Elona Freundschaft mit Flinn geschlossen. Ähnlich wie Shara Paine war Zyara davon nicht angetan. Sie mochte Flinn nicht. Sie kannte diese Art von Kater und wusste, dass Elona sich nicht auf ihn einlassen durfte. Bast sei dank, hatte sie dies zunächst nicht getan und war stattdessen in die Arme von Lucian Grave geraten. Zyara hatte ihn gemocht, nicht so sehr wie Hasmael, aber das wäre gewiss noch gekommen. Zyara hatte Respekt vor ihm und wusste, dass wenn sie einander in den Weg geraten würden, er nicht vor ihr zurück schrecken würde. Sie schätzte diesen Mut, auch wenn es natürlich narrenhafte Selbstüberschätzung war. Zyara war nicht irgendeine 'Katze'. Sie war mächtig und klug, niemals wäre sie so jemandem im offenen Kampf entgegen getreten. Doch leider entzweite das Schicksal ihre Vertraute von diesem Gefährten.
Und so begegnete sie dem Taschenteufel. Er war Flinns' Vertrauter - in diesem Fall konnte man tatsächlich davon sprechen, dass der Mensch einen Vertrauten hatte. Diese Katze war dumm und faul. Zyara mochte ihn nicht und zeigte ihm dies häufig. Wieviele Verletzungen hatte dieser dumme Kater von ihr bekommen? Wie oft war Flinn aufgewacht mit zerkratztem Gesicht, weil er etwas getan hatte, dass Zyara nicht gefallen hatte? Ah... es war so häufig gewesen. Aber er hatte es immer verdient. Und schließlich hatte Zyara seine Anwesenheit auch akzeptiert. Irgendwann hatte sie sich auch an den Taschenteufel gewöhnt... solange er auf ihre Befehle gehorchte. Doch er hatte gelernt und entweder er spurte, oder er versteckte sich. Darin war er tatsächlich gut gewesen, manchmal hatte sie ihn nicht finden können. Er fand immer wieder neue Verstecke, obwohl sie sich anmaßte das alte Wolkenmeeranwesen sehr gut zu kennen.
Während zahlreicher Höhen und Tiefen war Verbero geboren worden. Zyara hatte diese Angelegenheit zunächst nicht so ernst genommen, erst als Elona ihn tatsächlich behalten wollte, war sie unangenehm überrascht worden. Sie mochte Verbero nicht sonderlich, im Gegenteil. Wie sehr er Elona für sich in Beschlag nahm war ihr ein Dorn im Auge - doch wirklich gegen ihn vorgehen wollte sie nicht. Sie hatte sich in dieser Zeit eingestehen müssen, dass es nicht allein an ihrer Zuneigung zu Elona lag, dass sie nicht gegen ihn vorging. Sie hatte auch Angst vor ihm. Die erste Begegnung von Verbero und Flinn jedoch, entschädigte für jegliche solcher unwürdigen Gefühle. Wie hatte sie es genossen? Flinn, dessen Gesicht Schrecken und Überraschung zeigte, als die Säure ihm entgegen geschossen war. Doch leider war er ausgewichen.
In der kommenden Zeit hatte Elona sich sehr viel Mühe gegeben, Flinn und Verbero aneinander zu gewöhnen. Aber einen wirklichen Draht konnten sie nie zueinander aufbauen. Insgeheim hatte sich Zyara manchmal vorgestellt eine Falle für den Taschenteufel zu erstellen bei der er von Verbero gefressen werden würde - aber ernsthaft war sie diesen Gedanken nie nachgegangen. Trotz allem hatte sie sich an diesen faulen, dummen Kater gewöhnt. Und irgendwann hatte sie auch Flinn akzeptiert. Sie mochte ihn immernoch nicht, aber Elona war es wichtig gewesen, dass diese Fehde aufhörte und Zyara hatte... nachgegeben. Obwohl sie von Flinns' Entscheidungen bezüglich Verbero wusste. Natürlich empfand Elona sie als furchtbar oder erschreckend, aber Zyara konnte in dieser Zeit Flinn tatsächlich verstehen. Es war zu einem Großteil auch Zyaras' Schuld gewesen, sie hatte zu sehr nachgegeben. Den reichen Lebensstil genossen und sich diesem hingegeben. Dabei hatte sie nicht so sehr auf Elona geachtet, wie sie es vielleicht hätte tun sollen. Natürlich teilte sie Elona nicht mit, dass sie mit Flinn einer Meinung war. Das wäre nur irgendwann auf sie zurück gekommen.
Doch dieses Mal hatte Flinn es tatsächlich geschafft. Seiner Forderung war gefolgt worden und als beide mit Verbero fortgangen, kamen sie mit Alexis zurück. Natürlich war es immernoch Verbero, er sah jetzt nur anders aus... weniger bedrohlich. Jetzt war er viel kleiner, schwächer und hilfloser. Allerdings passte die Familie nun besser zusammen und so redete sie Elona gut zu. Es war das erste Mal, dass sie Flinn ernsthaft unterstützt hatte und Elona die Vorteile der Veränderung aufgezeigt hatte.
Die Zeit vergang und Alexis lernte dazu. Das Zusammenleben mit ihm wurde angenehm und nach seinem ersten Geburtstag hatte sie ein Druckmittel, welches ihn dazu zwang, zutun was sie verlangte. Naga. Diese kleine Schlange war ihm sehr ans Herz gewachsen und wenn Alexis sie ärgerte, musste Zyara nur ihre wunderschönen Krallen ausfahren, zum gläsernen Käfig der Regenbogenboa stolzieren und ihren Kopf Alexis zuwenden.
Dann war er brav gewesen. Natürlich wusste sie, dass das nicht langfristig funktionieren würde. Aber für den Moment war es gut und die kommende Zeit in ihrer kleinen Familie war gut.
Alexis war ihr durch die Zeit ans Herz gewachsen und Zyara hatte so manchen Plan von ihm stillschweigend unterstützt. Elona vertraute ihr wie keinem anderen und aus diesem Grund wurde Zyara zu Alexis' stetiger Begleiterin. Nicht immer empfand sie es als schön, doch wenn sie genug von ihm hatte, schlich sie sich davon und kam später wieder. Das war Elona nicht aufgefallen, die viel zuviel Zeit mit Arbeit verbrachte und Alexis' hatte diesen Freiraum als stille Übereinkunft zwischen ihnen glücklich angenommen.
Sie hatte viel Zeit mit Alexis verbracht und obwohl sie ihn nicht als ihr richtiges Kind ansehen konnte, war ihr Herz so schwer wie sie es noch nie verspürt hatte. Diese widerliche Kreatur Sanctian hatte ihn krank gemacht und auch wenn Elona den Gedanken niemals aussprechen wollte, so schwebte der vermeintliche Tod über Alexis' und eine Heilung war nicht in Sicht. Auch wenn die Sonnenelfe, über die Elona häufig mit Zyara gesprochen hatte, eine Heilung suchte war nicht sicher, ob sie rechtzeitig wieder da sein würde.
Alexis war inzwischen sehr bleich geworden und die schwarzen Adern in seiner Haut traten deutlich hervor, Zyara wollte ihm den Weg zu seiner Mutter nicht verwehren und hatte ihn aus dem magischen Anwesen in die Burg begleitet. Seine Schmerzen schienen sehr schwer zu sein, sie hatte ihn nicht ablenken können und das obwohl sie sich sehr viel Mühe gegeben hatte.
Jetzt, da Elona ihre Arme um Alexis schloss und der immer schwächer werdende Junge über seine Schmerzen klagte, sah Zyara es. Dies war der unvermeintliche Zeitpunkt vor dem sie solche Angst hatte.
Alexis würde sterben.
Sie hätte nicht erwartet, dass diese Gewissheit solchen Schmerz auslösen hätte können. Sie wollte nicht, dass er stirbt, aber eine Lösung lag nicht vor ihnen. Noch war sie in der Nähe und diese unnütze Erinnye, die Elona nach ihrem laienhaften Angriff eine Lösung offenbart hatte, war gescheitert.
Einzelne Adern in Alexis' Gesicht platzten auf, schwarzes, von Sanctian vergiftetes Blut, trat hervor. Zyara wurde von dieser furchtbaren Hilflosigkeit übermannt. Eine Hilflosigkeit, die sie so noch nicht gespürt hatte. Hätte sie doch nur eine Möglichkeit gefunden, ihn zu heilen. Ihr fiel mit einem Mal ein, dass er sein Essen heute nicht aufgegessen hatte. Obwohl es sein Lieblingsessen war. Er hatte es kaum angerührt gehabt.
Elona trug Alexis, in panischer Angst zum Sofa. Auch sie musste es nun wissen. Ihre Stimme überschlug sich, während sie zu Alexis rief, doch er reagierte schon nicht mehr.
Alexis würde sterben.
Vor ihrer beider Augen und sie konnten nichts tun. Zumindest war Zyara sich dem sicher gewesen. Bis Elona einen langen, dunklen Dolch zog. Er war Zyara zwar bekannt gewesen, aber sie hatte nicht mit dem gerechnet, was Elona nun tat. Sie wusste doch um die Wirkung der Klinge? Was sollte...
Elona presste Alexis kleinen, immer schwächer werdenden Hände um den Griff des Dolches, während ihre linke, freie Hand in die Klinge glitt. Die scharfe Klinge aus schwarz glänzendem Metall schnitt ohne Gegenwehr in das weiße Fleisch und saugte Elonas' Blut auf.
Atemlos beobachtete Zyara diesen Vorgang, während Alexis Atem wieder stärker wurde. Die dunklen Adern von seinem Gesicht verschwanden, das weiß seiner Haut wieder einer gesünderen Farbe wich und er schließlich gesund da lag. Er schlief, aber er atmete und war gesund.
Der Dolch zerbarst und hinterließ lediglich eine kleine Staubwolke. Alexis lebte.
Erleichterung überkam Zyara. Bis zu dem Zeitpunkt, als sie den Blick von Alexis nahm und zu Elona aufsah. Als sie erkannte, wie ihre Haut an Farbe verlor, dunkle Adern in ihrem Gesicht hervortraten und die Tränen, welche noch immer hinab rannten, sich an ihrem Kinn sammelten um dann in großen Tropfen hinab zu fallen.
"Deine Seele wird in wenigen Minuten zu Staub zerfallen, dann stirbt dein Körper und du wirst aufhören zu existieren."
Zyara vernahm die Worte der Erinnye und schaute zu Elona auf. Sie sah zuversicht, aber auch Dankbarkeit in ihren Augen. Alexis lebte, was für ein Gewicht hatte ihr beider Leben im Vergleich zu seinem? Während Elona Anweisungen zu Alektra rief um Sanctian zu Fall bringen zu können, sprang Zyara auf das Sofa. Sie leckte über die kleine Hand von Alexis. Es war ihr Abschied.
Sie hatte nie damit gerechnet zu sterben. Sie war die große Zyara, ihre Vertraute eine mächtige Magierin und sie selbst eine Königin unter allen Katzen. Doch diese Gedanken schienen ihr nun so unwichtig, als sie die Brust des Jungen sich heben und senken sah.
Unser Sohn lebt. Waren Zyaras Worte, welche alles sagten, dass es zwischen ihr und Elona zu sagen gab. Es gab keine unausgesprochenen Dinge, doch mit diesem letzten Satz machte sie deutlich, dass sie Elonas' Tat, ihr beider Leben zu riskieren und letztlich für das Seine herzugeben, auch sie mit etwas erfüllte, dass sie schon lange nicht mehr gespürt hatte.
Elonas Hand hob sich und sie unterschrieb den Vertrag, der Sanctian sein Ende bringen sollte.
"Ich liebe dich... mein Verbero."
Zyara spürte, wie sich ihre eigene Brust zu verengen begann. Elonas Augen weiteten sich vor Schmerz.
"Sei stark." Hauchten die Lippen Elonas ihrem Sohn zu, ehe ihr beider Herzen zerbarsten und nichts als Dunkelheit übrig blieb.
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