Mit einigem Schrecken erkannte Tara, wo sie gelandet waren. Direkt vor dem Mantelturm in Rivin. Dabei wollte sie doch davor und nicht auf dem Gebiet der verhassten Gilde landen. Sie muß das wirklich besser üben...
Nachdem sie sich ein wenig vom Teleport erholt hat, sieht sie sich um.
Die Wachen sehen nicht sonderlich neugierig, doch aufmerksam zu ihnen. Vermutlich ist es hier Usus, daß täglich irgendwelche Fremden aus dem Nichts vor dem Turm auftauchen.
Dreani ist ebenso übel, wie ihr selbst, der hünenhaften Nott scheint das alles gar nichts auszumachen, Rauvyl ist zäh, wie Leder und es wäre ein Wunder, wenn sie den Teleport, abgesehen davon, nun an einem anderen Ort zu sein, überhaupt bemerkte.
Einzig Iolas und Anestasia bekommen einen Wimpernschlag mehr Aufmerksamkeit.
Rührend, wie sich Anestasia um Iolas sorgt und kümmert! Diese viel zu neugierige Feenelfe, Halbelfenfee oder was immer sie sein mochte, war bei näherer Betrachtung nicht nur enervierend und lecker, sondern auch noch nett. Ob sie sich wohl für einige Experimente bereitfände…?
Einzig Iolas bereitet Tara ebensolche Sorge, wie sie das Ganze anziehend findet. So viel Blut! Elfenblut obendrein! Wie das duftet…
Während sie noch mit dem Drang kämpft, ihrer Gier, diesem unstillbaren Hunger zu widerstehen, trifft sie die Erinnerung des Vorgefallenen mit voller Wucht.
Die anderen sind mit sich und was auch immer beschäftigt, also nutzt sie die Chance und flieht geradezu vom Mantelgelände. Weg von hier! Weg von dem leckeren Iolas, der zwar sicher, dennoch aber eine Qual für sie ist, weg von den anderen, die sie sicher dafür verurteilen, diese verdammten, widerborstigen Dämonen umgebracht zu haben und vor allem weg von Agatha, deren Trauer sie nicht ertragen kann, versteht sie jene doch nur zu gut.

Ziellos wandert Tara durch den Hafen, körperlich präsent, doch sichtlich in Gedanken ganz weit weg.
Und ebenso offenkundig finsterster Stimmung, was ihr eine gewisse Einsamkeit beschert. Selbst die Mädchen, die dem horizontalen Gewerbe nachgehen und zu denen sie doch ein geradezu freundliches Verhältnis pflegt, gehen ihr aus dem Weg.
Ziellos wandert Tara herum.
Warum bei allen Höllen musste es so enden?!
Die womöglich Einzige, die ihr die Fragen beantworten konnte, die sie doch schon so lange quälen, die Gewissheit schaffen konnte, wo heute nur Ängste und Zweifel hausen…
Vernichtet! Unwiederbringlich verloren!
Wie viel sie sich doch von einem Gespräch mit ihr erhoffte! Und nun war wieder mal alles weg.
Wieder und wieder drängen sich die Bilder von Kassandras Ende in ihr Bewusstsein. Kassandra, die Mutter ohne Kind, die zur Sensenfrau wurde.
Sie war zweifellos wahnsinnig und das aus gutem Grund. Doch wer war hier eigentlich normal? Die Meisten schaffen es nur irgendwie, ihren Wahn vor den anderen zu verbergen und bestimmen einfach, was und wer normal ist und wer nicht…
Nein, mit Kassandras Wahnsinn wäre sie schon auf die eine oder andere Art fertig geworden, wenn sie nur mal vernünftig mit ihr hätte reden können.
Die Worte an ihrem Ende gehen Tara nicht aus dem Kopf. Ihre Tochter aufwachsen zu sehen und ihren Werdegang zu verfolgen…
Ein kleines Haus, fernab von allen Fürsten und anderen Möchtegerns…
Einfach nur Frieden, ohne sich verstellen zu müssen…
Eine Familie…
All das schockierte Tara weit mehr, als Kassandras Verfall beizuwohnen, beschrieb sie doch nichts anderes, als Taras Dasein und Sehnsüchte. Und nun war sie fort.
Agatha drängt sich in ihr Denken. Diese kleine Elfe oder was immer sie nun war, ist zwar furchtbar enervierend in ihrer ewigen Bettelei um Laudanum und erinnert sie auch sonst an ein kleines Kind, das viel zu schnell erwachsen werden musste, doch nüchtern betrachtet mag sie sie.
Es tat zusätzlich weh, ihren Schmerz ob des Verlustes Kassandras miterleben zu müssen. Tara weiß nur zu gut, wie sie sich fühlen muß. Schuldig daran, eine Freundin verloren, sie gar in den Wahn getrieben zu haben, oh ja! Sie weiß ganz genau, wie sich das anfühlt. Kurz schaudert sie, als sich der Gedanke an all jene Taten, die sie selbst zu verantworten hat aufdrängen und es kostet ein ordentliches Stück Kraft, jene niederzuringen.
Es ist belanglos, ob man sich eine Schuld einredet, wirklich schuldig ist oder auch versucht, sich das Ganze schönzureden und nach Entschuldigungen sucht. Man kann sich nicht selbst belügen.
Sie mag sich gar nicht Agathas Horror vorstellen, wenn sie sich allein zur Ruhe begeben wird und die gedanklichen Dämonen über sie herfallen.
Vielleicht sollte sie Agatha einige Phiolen des Trankes zukommen lassen, von dem sie defacto selbst nun seit Jahren abhängig war? Das ist gewiß nicht schön, doch so könnte Agatha ohne bösartige Träume schlafen und wer weiß? Vielleicht ist sie ja stärker als Tara und schafft es irgendwann wieder ohne diese Tränke zu schlafen?
Das ist eine gute Idee und lenkt sie zudem von ihren eigenen nutzlosen und enervierenden Grübeleien ab!
Und so macht sie sich zwar nach wie vor mißvergnügt, doch mit einem Ziel und einer Aufgabe auf ins Insolentia und Agatha erhält noch am selben Abend ein Körbchen mit 3 Phiolen, deren Inhalt nachtschwarz gefärbt ist. Eine Anweisung liegt dabei, daß sie eine Phiole vor dem Schlafengehen trinken soll, am besten, wenn sie schon im Bett liegt, so sie derer bedarf. Und natürlich auch die Adresse, wo es gegebenenfalls Nachschub gibt…