Es war schummerig im Wagen. Die Seherin wies Harald und Elvea die Plätze zu und schenkte ihnen klares, frisches Quellwasser ein. Sie sollten sich nicht mit Alkohol benebeln, das klare Quellwasser half ihnen, zur Ruhe zu kommen und sich zu erden.
Railanta hörte zu: von der Todesfee Lymira, vom Herrscher, von den Übergriffen der Untoten – und von Petra, der dicklichen Hure, die von einigen vermisst wurde. Sie muss eine gute Seele gewesen sein, sonst würde kein Hahn nach ihr krähen. Aber so gab es Leute, die sich sorgten. Das Pendel sollte Auskunft geben heute, die Fragestellung gaben die beiden Gäste vor: Leben oder Tod.
So legte die Schamanin das alte Ledertuch, an dem schon der Zahn der Zeit nagte, auf den Tisch vor sich: verblichene Linien darauf gaben die Stellen vor, an denen man die Runensteine platzieren konnte – und so legte sich zwei Steine hin, zwischen denen das Pendel wählen sollte. Ein Stück Holzkohle wurde entzündet, geriebenes Bernsteinpulver zum Räuchern darauf gestäubt und der Wagen füllte sich alsbald mit schwerem, fast schon betäubendem Rauch.
Die beiden bekamen den Auftrag, sich ganz auf Petra zu konzentrieren, sie schlossen die Augen, hielten sich an den Händen – und Railanta nach das Pendel, einen silbernen Kegel an einer Schnur in die Hand und fing an: Sie rief die Geister der Zeiten an, die Ahnen und die die um sie waren und bat sie, ihr die Augen zu öffnen. Sie nannte Petra, rief sie und wartete.
Das Wachs der Kerze rann herab, das Pendel blieb still, die Zeit verstrich und hatte keine Bedeutung. Elvea und Harald lenkte ihre Gedanken auf die Vermisste, murmelten ihren Namen. Und in dem Moment, wo der Name mehrfach genannt wurde, schlug das Pendel aus. Mal hierhin, dorthin, es kreiste, als könne es sich nicht entscheiden. Die Seherin atmete tief den Rauch ein – und sah:
Wie Petra zwischen Tod und Leben wandelte. Beide Seiten waren verlockend, ihre Seele war noch unstet. Railanta spürte es wie Nadelstiche auf der Haut, wie sehr die Geisterwelt in Aufruhr war, hörte das tonlose Zischeln und Rufen, es war nicht richtig, dass eine Seele so herumirrte. Mit einem Ruck fiel ihr das Pendel aus der Hand – sie schlug die Augen auf.
Und berichtete Harald und Elvea, was sie erfahren hatte.
_________________ 'Die Freiheit der Phantasie ist keine Flucht in das Unwirkliche; sie ist Kühnheit und Erfindung' ~ Eugène Ionesco
|