Gutgelaunt machte sich Furio daran ein Tablett zu richten. Er war fünfzehn Jahre alt und einer der vielen Diener in der Fürstenburg. Er hatte das Glück in der Küche arbeiten zu dürfen und außerdem wurde er meistens zu den Gästen der Burg geschickt um ihnen das Essen zu servieren. Wenn sie nicht gemeinsam speisten, dann in den jeweiligen, angemessenen Räumlichkeiten… und ER durfte es ihnen bringen! Heute gab es in Butter ertränkte Wachteln, Kartoffelstampf, feinste Bratensauce, Rotkohl, Beerenkompott … Köstlich! Alles davon!
Diesmal würde sie essen. Ganz sicher. Er würde nicht eher gehen, bevor sie nicht zumindest von allem ein Löffelchen gekostet hätte! Die letzten Ritte ging das schon so. Furio brachte ihr Essen, die Schönheit hatte immer ein Lächeln für ihn übrig, bedankte sich und aß letztlich meist doch nur eine Spatzenportion. "Viel zu schade", murrte Mires. "Viel zu schade dafür, dass eh alles zurück kommt oder letzten Endes in deinem Wanst landet nur weil das Fräulein am Herzeleid krankt!" Mires schlug ihm mit dem Kochlöffel auf den Bauch. "Eh! Bist du bescheuert?!" Aber widersprechen konnte er nicht. Während die Lady Aleney scheinbar immer blasser wurde, trat sein Bauch doch ein wenig deutlicher hervor als noch vor ein paar Mondläufen. "Was?! Ich verpass dir gleich noch eine! Dann aber richtig! Elender sembianischer Hund… das nächste Mal bring ich ihr selbst das Essen, so sieht’s aus." "Wir teilen die Reste doch eh immer, bei den Göttern! Du hast ja wieder ne Laune…! Außerdem kommst du eh kaum die Stufen hinauf ohne zu keuchen wie ein alter Blasebalg." Furio hob leicht verärgert das Tablett auf. "Trottel", murmelte er beim Hinausgehen. Jetzt eilte er sich davon zu kommen. Mires war berüchtigt für seine Impulsivität und scheute sich nicht davor mit rohen Kartoffeln oder Rüben zu schmeißen. Furio scheute sich im Gegenzug nicht den Koch dennoch immer wieder bis aufs Blut zu reizen.
In den oberen Räumlichkeiten angelangt spazierte er geschwind die Flure entlang. Er runzelte ein wenig die Stirn, als ihm auf dem Weg etwas wieder einfiel. Er hatte die Baderin Elsa reden hören, dass sie Jerem Gard eingesperrt hätten. Hier, im Kerker der Burg! Furio gab nicht viel auf Geschwätz. Andererseits fußte das Geschwätz der Baderin Elsa meistens wirklich auf gutem Fundament. Denn ob Soldaten oder Edeldamen – den meisten die am Fürstenhof zu schaffen hatten, hatte Elsa bereits ein- oder mehrmals den Badezuber befüllt, die Haare gewaschen, die Nägel gesäubert und geschnitten, den Bart gestutzt oder den Rücken geschrubbt. Er beneidete sie nicht um ihre Aufgabe aber um das, was sie so zu hören bekam – und wenn das stimmte, dass man Jerem eingesperrt hatte… Ein wenig seufzend blickte er auf die so schön drapierten Speisen. An der fünften Türe hielt er inne. Das Tablett geübt auf einer Hand balancierend klopfte er an das Türblatt. "Komm herein", hörte er schon gleich darauf und so trat er ein.
Lady Aleney trat gerade vom Fenster fort, während Furio auf den kleinen Tisch mit nur zwei Stühlen zuhielt. Er lünkerte scheu zu ihr hin. Sie trug ihren adretten, blauen Gehrock mit den silbernen Nähten. Blass war sie wieder. Erschöpft sah sie aus. Aber das Lächeln, das sie ihm sandte… das machte alles wieder wett! Beflügelt schickte er sich an Teller und Besteck, Kelch und Wein auf dem Tisch für sie zu bereiten. Sie trat zum Stuhl, er schob ihn ihr zurecht.
Aleney seufzte innerlich, als ihr Blick über das gerichtete Essen glitt. Es sah alles so gut aus… aber nichts davon wirklich verlockend. Sie spürte den Blick des jungen Dieners auf sich und fühlte sich ein wenig gegängelt schließlich doch nach den Kartoffeln zu fassen. Sie legte sich ein wenig davon auf, dazu eine halbe Wachtel und etwas Rotkohl. Sie begann langsam und geräuschlos zu essen – der Versuch die Gedanken, die sie beschäftigten abzuschütteln war wie so oft vergebens.
Alektra... Aleney wurde übel von der eigenen Empfindung. Um SIE, eine Kreatur der neun Höllen, die ihn schon oft genug gequält hatte, in deren Fängen er sich schon einmal befunden hatte und nur mühsam daraus lösen konnte… um SIE zu befreien hatte er sich in diese Schwierigkeiten gebracht. Hatte er sie mit den anderen Teufelsanbetern etwa gar wieder zurück auf diese Ebene beschworen? Sie verstand es nicht. Sie konnte es einfach nicht verstehen! Nun geht es dir wieder schlecht, Mutter… Ich sagte noch! Stich ihn ab und wirf ihn in den Weiher, deinen verlogenen Ex-Stecher! Hör endlich auf damit, Synthia! Ich sagte dir vor ein paar Tagen bereits, dass nichts Gutes aus blinder Rache erwächst. Würdest du alles sagen was du auch nur was vermutest – und wahrscheinlich hast du sogar recht mit allem! – dann würde er eh am Strick enden! Das hat er nicht verdient! Ach nein? Weißt du… mir gönnt er sie nicht, diese eine Chance die du und Fira mir gegeben habt! Er versteht noch immer nicht warum du es getan hast! Aber was ist mit ihm? Wie viele Chancen hatte er? Und wie viele davon hat er selbst verschissen? Synthia...!
Scheppernd fiel die Gabel auf den Teller. Furio, der sich ein wenig abseits postiert hatte, fuhr zusammen. "Seid ihr fertig, meine Dame...?" meldete er sich dann auch vorsichtig zu Wort. Ihr Blick fiel auf das Lederband an ihrem rechten Handgelenk und ihre Gedanken waren mit einem Mal in einem nasskalten, dunklen Verlies – das aber leer war und ihr damit mehr Schrecken in die Glieder jagte als es etwas anderes je könnte. Zwei Augen sahen sie an. Nein… nur eines. Ein blaues und ein rotes, fleischiges Loch – wie ein Mahnmal. Ihr Herz krampfte sich zusammen. Alles tat wieder so weh. So weh wie am ersten Tag. Furio trat langsam näher. "Lady Aleney?" Sie rang um Fassung. "Ja… Ja ich bin fertig." "Wirklich? Ihr habt ja kaum etwas versucht. Schmeckt es euch nicht? Soll ich euch etwas anderes bringen?" "Nein, nein es war… wirklich… vorzüglich, Furio. Du brauchst mir nichts anderes zu bringen. Ich habe keinen Appetit, das ist alles." Furio seufzte leise. Aleney überging das. Morgen würde sie wieder Fira bitten mit ihr zu essen, überlegte sie. Das brachte zumindest recht sicher Kurzweil, Ablenkung und Unterhaltung – außerdem tat es Synthia gut… und ihr auch. Während der Bursche alles wieder auf dem Tablett stapelte zögerte er und stellte schließlich das Beerenkompott zurück auf den Tisch, legte einen kleinen Löffel daneben. "Vielleicht ja später…" sagte er, nahm all seinen Mut zusammen und lächelte ihr zu bevor er sich diskret aus dem Zimmer stahl.
_________________ Charaktere: Aleney Gard'Once there was only dark. If you ask me, the light's winning.'
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